queerfeministisch – antifaschistisch – vielfältig (2/3)

Im Dezember 2020 haben wir anlässlich der Uniwahl Meinungen unserer Aktiven* zu verschiedenen Begriffen veröffentlicht, die beschreiben sollen, welche Konkrete Utopie wir an unserer Universität umsetzen wollen. Während die Begriffe in einer Sitzung abgestimmt wurden, sind die Texte selbst kollektiv entstanden. Sie geben daher nur #Meinung wieder, keine formal beschlossene Positionierung als Gruppe.


Unsere Uni ist queerfeministisch

Die Mehrheit der Student*innen sind heute Frauen. In Rektoraten und unter Professor*innen sind sie aber weiter unterrepräsentiert. Angebote, die sich um die Gleichstellung von Frauen insbesondere bei Professuren bemühen, sind weiterhin bitter nötig. Gleichstellung bedeutet aber nicht ’nur‘ Gleichberechtigung zwischen zwei Geschlechtern. Gleichstellung muss längst auch intersektional denken und darf nicht in veralteten binären Geschlechterbildern zurückbleiben. Student*innen sind heute vielfältiger, als das unsere Gleichstellungskonzepte bisher oft abbilden.

Wir wollen, dass alle Menschen an unserer Universität lehren, lernen und leben können. Die Universität muss ein Raum sein, in dem sich alle Beteiligten – Universitätsangehörige wie -externe – gut und sicher fühlen können. Die Bedürfnisse und Herausforderungen im Alltag von trans, inter, nonbinary Menschen müssen ernstgenommen werden. Dazu gehört auch Sichtbarkeit. Queerfeministische und intersektionale Themen gehören selbstverständlich in Lern- und Beratungsangeboten, aber auch im Verwaltungshandeln, berücksichtigt. Die aktuelle Richtlinie des Gleichstellungsbüros geht sprachlich nicht weit genug. Sprache darf auch unbequem sein, wenn sie damit bestehende Verhältnisse besser beschreibt. Den von manchen Gruppen geforderten (sprachlichen) Rollback empfinden wir vielfach als missverständlich und mindestens sinnentstellend. Wer absichtlich von „Studenten“ spricht, aber „Student*innen“ oder „Studierende“ meint, sorgt für unnötige Verwirrung und verweist gerade im Fall der „Studentenschaft“ auf glücklicherweise längst vergangene Strukturen.
Wichtiger noch sind Erleichterungen etwa bei Namensänderung, insbesondere wenn diese noch nicht amtlich sind.

Die Uni braucht mehr Freiräume für die Selbstbestimmung von Frauen und LGBTQIA+. Wir sind nicht frei, bevor wir nicht alle frei sind.


Unsere Uni ist antifaschistisch

Bereits die Universitätsgründung 1477 verband der Antisemit Eberhard mit der Vertreibung der jüdischen Tübinger*innen. Die Uni trägt bis heute seinen Namen. Vor der Machtergreifung der NationalsozialistInnen gab es kaum jüdische Student*innen oder Professor*innen. Rektor Hoffmann ließ sich in SA-Uniform verewigen (5). Die Forschung, die in Tübingen bis Kriegsende – und teilweise bis in die 1980er (6) – betrieben wurde, ‚legitimierte‘ rassistischen Hass und Vernichtung.

Die Studierenden waren (weit überwiegend) keine Gegner*innen des NS, sondern begeisterte AnhängerInnen. Studierende marschierten begeistert voran in die Diktatur. Zuerst für den Kaiser, dann den Führer. Begeisterte Verbindungsstudenten schlugen schon während Weimar die Arbeiter*innenaufstände in Bayern gewaltsam nieder. Zu einem Vortrag des Heidelberger Mathematiker Emil Gumbel lieferten sich gewalttätige Verbindungsstudenten Straßenschlachten. Studierende halfen dem Nationalsozialismus mit an die Macht, und hielten ihn dort. Studierendenvertretungen müssen sich mit ihrer Geschichte und Rolle auseinandersetzen und jeder Rückkehr dieses todbringenden Geistes entgegentreten.

Das Klubhaus ist gebaut als Beginn einer anderen Uni. Optisch wie ideologisch wenden sich die Studierenden von jenem Denken ab, welches in den Faschismus führte. Es ist gerade nicht eine Fortsetzung oder neutral, sondern bricht mit dem bisherigen. Bricht mit der NS-Uni und auch jenen Studierenden, die auch nach 1945 nicht entnazifiziert waren. Das Klubhaus ist eine klare Absage an Hierarchie, Gehorchen, Verbindertum und studentischen Ehrbegriff. Es stellt einen Gegenpol dar auch zu den Verbindungshäusern. Hans Filbinger, CDU, der während des NS als Marinerichter tätig war, enteignete und verbot 1977 die Studierendenschaften, weil ihm nicht passte, wie sie über sich selbst demokratisch bestimmen wollten.

Diese Universität Tübingen ist nicht ohne ihre Geschichte zu denken. Deshalb muss sie sich eindeutig gegen jede Form von Faschismus, gegen jeden Antisemitismus, gegen Rassismus und Menschenfeindlichkeit stellen. Dazu gehört auch die nicht ausreichend und unabhängig aufgearbeitete Rolle von zahlreichen Verbindungen.

(5) https://www.ns-akteure-in-tuebingen.de/biografien/bildung-forschung/hermann-hoffmann
(6) https://www.ns-akteure-in-tuebingen.de/biografien/bildung-forschung/sophie-ehrhardt


Unsere Universität ist vielfältig

Die Stärke der Studierenden ist ihre Vielfalt. Wo sich Student*innen aus unterschiedlichen Fächern entscheiden, zusammen zu arbeiten, kann sich viel bewegen. Dabei gibt es nicht den einen Weg, sondern eine bunte und lebendige Vielfalt: Fachschaften, Hochschulgruppen, Initiativen, Arbeitskreise, und so vieles mehr. Manchmal mag uns das als Zersplitterung und Entfremdung erscheinen, tatsächlich bietet diese Vielfalt aber die Möglichkeit, freiwillig und gemeinsam über Grenzen hinweg zusammen zu arbeiten und als breite, hierarchiearme, demokratisch organisierte Lobby – eben als gemeinsame Studierendenvertretung – für unsere gemeinsamen Interessen erfolgreich einzutreten.

Auch die Universität sollte in dieser Vielfalt eine Stärke erkennen. Unterschiedliche Fächer, Herkünfte, Fähigkeiten, Geschlechter, Sprachen, Geschichten bereichern uns und machen uns zusammen stärker. Auf diese Vielfalt muss sich die Universität einstellen, barriereärmer werden und unnötigen Leistungsdruck vermeiden.

Die Unterschiede zwischen Studierenden „vom Berg“ und „vom Tal“ werden oft übertrieben dargestellt. Von einer Konkurrenz profitiert aber nur das Rektorat. Die Studierenden (und Lehrenden) der unterschiedlichen Fächer eint mehr, als dass sie trennt. Wir brauchen keine Konkurrenz, sondern Solidarität für die Verbesserung der Gesamtsituation. Jeder Blickwinkel sollte gleichberechtigt gehört werden können. Die neoliberale Wunschvorstellung einer unternehmerischen Hochschule, die abstößt, was sich vermeintlich nicht ‚lohnt’– z.B. wenn Drittmittel oder Abschlüsse fehlen – ist im Kern wissenschaftsfeindlich.
Auch Kleine Fächer mit wenigen Studierenden bereichern das Angebot unserer Universität um zusätzliche Perspektiven. Ein Lehrangebot, welches über Massenfächer und kurzlebige Trends hinausgeht, und die Vielfalt von Ansätzen betont, bereichert unsere Uni und die dort betriebene Wissenschaft.

Unsere Universität ist keine Lernfabrik, sondern ein lebendiger Garten.

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