Nicht noch eine Fortsetzung. (Jahresrückblick 2022)

Das Jahr 2022 war voller Krisen, aber auch voller Hoffnung auf eine andere Welt. Wie in den vergangenen Jahren fassen wir zusammen – und vergessen sicher vieles –, was dieses Jahr war.

Januar / Februar / März

Zu Beginn des Jahres schockierte uns ein mutmaßlich rechter Angriff auf das Wohnheim Münzgasse 7.  Wir erklärten uns mit den Bewohner*innen solidarisch. Eine vollständigere Übersicht über rechte Aktivitäten – auch z.B. von rechten Verbindungsstudent*innen – findet sich im Watchblog Tübingen Rechtsaußen.  

In Heidelberg wurde eine Studentin bei einem Amoklauf getötet und mehrere verletzt.

In der Ukraine wehrten sich Menschen gegen den Versuch Putins, das Land einzunehmen oder durch einen Krieg zu zerstören. Wer vor dem Krieg floh, begegnete teilweise Solidarität, teilweise aber auch Hürden.

Repression erfuhren vor allem die Klimabewegungen und Antifaschist*innen. Wir erinnerten daher zum Tag der politischen Gefangenen an unsere Freund*innen und Genoss*innen hinter Gittern. Gefangenensolidarität war wegen mehrerer Verfahren und insbesondere der Präventivhaft gegen Klimaaktivist*innen in Bayern immer wieder Thema.

Die Studentische Vollversammlung erneuerte den Wunsch nach mehr bezahlbarem veganem Angebot in der Mensa, thematisierte die Wahl der neuen Rektorin und passte die Aufwandsentschädigungen für die Exekutive der Verfassten Studierendenschaft und für die Referate an den Arbeitsaufwand und die Verantwortung an. (Referate 150 -> 250; Exekutive 200 -> 500) Es wurde auch eine Solidaritätserklärung mit den Studierenden in der Ukraine beschlossen.  

Im Arbeitskreis Finanzen arbeiteten wir mit bei einer umfassenden Neufassung der Finanz- und Haushaltsordnung. Diese regelt, wie die Verfasste Studierendenschaft mit ihren Gelder umgeht. Neben zahlreichen Vereinfachungen, insbesondere für Fachschaften und unsere Verwaltung, gab sich der StuRa nun erstmals allgemein den Vorsatz, bei allen finanziellen Angelegenheiten ökologische und soziale Nachhaltigkeit zu berücksichtigen. 

Wir organisierten einen gemeinsamen Besuch der Ausstellung „Schwieriges Erbe“ über den Umgang mit Kolonialismus in Stuttgart, gingen mit euch freitags auf die Straße und demonstrierten gegen Coronaverharmloser*innen und Querdenker*innen.

April / Mai / Juni

Auch im zweiten Quartal waren wir auf der Straße und demonstrierten beim CSD mit euch für die Rechte von queeren und trans* Personen.

Zu Beginn des Sommersemesters holten wir den wegen der Corona-Einschränkungen ausgefallenen Alternativen Dies nach. Viele und sehr unterschiedliche Gruppen nutzten die Gelegenheit, sich Studierenden im Clubhaus vorzustellen.

Wir beteiligten uns bei der Menschenrechtswoche zum Thema Ressourcen mit zwei Veranstaltungen:  einer „Küche für Alle“ unter dem Motto „Muss das wirklich weg?“ (zusammen mit unseren Freund*innen bei Amnesty, Junge Tübinger Tafel, Foodsharing e.V. und Lebenshilfe) sowie einer Vorführung des Dokumentarfilm „ERDE“ über die Ressource Boden (zusammen mit dem AK Umwelt des BBP).  

Nachdem wegen der Corona-Pandemie das Ract!festival im vergangenen Jahr ausfallen musste, konnte es 2022 – wenn auch auf dem Schiebeparkplatz deutlich verkleinert – wieder stattfinden. Wir waren natürlich mit einem Infostand dabei und organisierten einen Workshop zu „Rechte Szenen im Südwesten“ mit Lucius Teidelbaum.

Tim, der im öko-sozialen Referat und in der GHG aktiv ist, organisierte wieder das Elternforum und übers Jahr verteilt zahlreiche Fahrradchecks. Auch eine Veranstaltung zu Hilfskraft-Rechten fand statt. Hochschulpolitisch am wichtigsten war die Wahl der neuen Rektorin Karla Pollmann. Die Studierendenvertretung, darunter auch unsere VS-Vorsitzende Johanna, war an mehreren Gesprächen mit den Kandidat*innen für das Amt beteiligt. 

Hochschulpolitisch bedeutend dürfte auch noch die Entscheidung für ein Verbundübergreifendes ÖPNV-Ticket für 9 Euro pro Monat sein, welches der Bund 3 Monate lang zur Abfederung der Inflation einführte – und damit zeigte, dass das Tarifchaos und teure Bus- und Zugtickets eine politische Entscheidung sind. Wie sich diese Tickets und nachfolgende Varianten wie das 49-Euro-Ticket auf die Semestertickets auswirken werden, ist noch offen.

Weniger Aufmerksamkeit bekamen die Konflikte an griechischen Universitäten. Die rechte Regierung schränkte dort massiv »akademische Freiheit« und Selbstverwaltungsrechte ein, wogegen sich Studierende und Wissenschaftler*innen wehr(t)en. Als Reaktion auf die blutige Niederschlagung eines Studierendenaufstands 1973 im Athener Polytechnikum, der sich gegen die damalige Militärdiktatur richtete, war es der Polizei bisher untersagt, sich Zutritt zu den Universitäten zu verschaffen. Die neue Regierung hat diese Schutzrechte bereits im vergangenen Jahr aufgehoben. Nach erfolglosen Klagen ging die Polizei u.a. im Mai gewaltsam gegen Studierende vor. 

Juli / August / September

Den Uniwahlkampf nutzten wir wieder dafür, euch auf die Möglichkeiten der Mitbestimmung und Mitgestaltung hinzuweisen und für einige Ideen zu werben. Wie immer gab es auch einige Fragebögen, ein Wahlpodium und Infostände, selbstgedruckte Flyer und selbstgemalte Plakate. (Texte hier, Plakate und Meinungen hier).

Die Wahlbeteiligung stieg leicht im Vergleich zum Vorjahr, unsere Sitzanzahl (8 von 21) blieb gleich.  Wir freuen uns, dass wir die gute Zusammenarbeit u.a. mit der FSVV für eine gemeinsame Studierendenvertretung fortführen können.

Bundespoltisch beschäftigte uns die leider eine unzureichende BAföG-Reform. In Tübingen wurde viel über die Umbenennung der Universität diskutiert, auch nachdem der Senat – allerdings ohne Mehrheit – für die Beibehaltung von Eberhard und Karl im Uninamen stimmte.

Oktober / November / Dezember

Das Wintersemester 2022/23 wurde – nach der Corona-Unterbrechung – wieder durch die alternative Semestereröffnung Ernst-und-Karola-Bloch-Woche eröffnet. Leon Enrique Montero besuchte Tübingen und berichtete von seinen Einblicken in die Verbindungsszene. Wir beteiligten uns bei vielen der Vorbereitungsarbeiten zur Woche – etwa der Gestaltung der Programmhefte –, halfen mit bei den Workshops beim Alternativen Dies – der wie wir im Anschluss erfuhren, seit 2002 stattfindet – und organisierten auch als eigene Veranstaltung einen Kritischen Kleidertausch im Clubhaus (Bericht in der Kupferblau). 

Natürlich gab es von uns auch Infotische, sowohl auf dem Alternativen Dies als auch beim Dies Universitatis auf der Morgenstelle. Letzterer ist immer ein Balance-Akt, denn viele linke Gruppen verzichten auf eine Teilnahme, seit die Universität erlaubt, dass dort Verbindungen farbentragend – also uniformiert – auftreten. (2022 waren allerdings deutlich weniger Verbindungen als in den Vorjahren anwesend – auch der Bürgerfrühschoppen der Verbindungen fiel aus.) Wir haben uns bisher für einen Stand auf dem Dies entschieden, um linken Studierenden einen Anlaufpunkt geben zu können, eigene Materialien und die von befreundeten Gruppen zu verteilen und für die Blochwoche zu werben. Auch in diesem Jahr war auf dem Dies Universitatis die Studierenden-Gruppe „Connect“ der TOS-Gemeinde vertreten. Hatten Studierendenvertreter*innen dies in den vergangenen Jahren noch vor Ort kritisiert – auch wir beteiligten uns unter anderem mit Flyern des OTFR daran –, sieht die Abteilung Hochschulkommunikation, die den Dies veranstaltet, nun als eine der Regeln für die Teilnahme vor: „Gegenseitige Provokationen haben zu unterbleiben. Bitte respektieren Sie alle Gruppen, es ist nicht gestattet, im Hörsaalzentrum beispielsweise Flyer zu verteilen, die sich gegen andere Gruppen richten.“ Damit wird eine Aufklärung über die Kritik an Gruppen verboten und Studierende sind der ausschließlich positiven Selbstdarstellung ausgeliefert. Kritik, wie sie z.B. auch die Arbeitsstelle für Weltanschauungsfragen der Evangelischen Landeskirche in Württemberg formuliert, wird damit jeder Raum genommen. 

Die Studentische Vollversammlung im Wintersemester bekräftigte u.a. unsere ablehnende Position zu Onlinewahlen und forderte den Studierendenrat auf, die von der Uni geplante Einführung von Onlinewahlen nicht einfach kritiklos mitzugehen. Mit der von der StudVV beschlossenen Trennung des öko-sozialen Referats in zwei  Referate für Soziales und Gleichstellung bzw. für Umwelt und Politische Bildung wird beiden Themenbereichen mehr Raum gegeben. Nicht angenommen wurde ein Antrag, der die VS-Beiträge der Studierenden auf der bestehenden Höhe – 3,50 Euro pro Semester pro Student*in – eingefroren hätte, obwohl unser Haushalt – aktuell teils aus dem Abbau von Rücklagen – pro Student*in und Semester deutlich mehr ausgibt.

In einem vor allem von Internationals bewohnten Wohnheim des StuWe Tübingen-Hohenheim sind drei Studierende der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt (HfWU) in Nürtingen von zwei auswärtigen Personen angegriffen und verletzt worden. Der Zusammenhalt der Bewohner*innen konnte noch Schlimmeres verhindern.  

Eine zum Jahresende geplante kritische Veranstaltung zur Digitalisierung der Arbeitswelt mussten wir wegen Krankheit des Referenten ins neue Jahr verschieben, werden sie aber am 31.01.2023 nachholen. 

Unseren Lesekreis – dieses mal zu „Zukunft für alle – Eine Vision für 2048“ – ließen wir im Dezember wieder aufleben.

Während wir von Utopien lasen, machten unsere Kommiliton*innen in anderen Ländern sie konkret(er):  Im Iran wehrten sich Frauen gegen das Mullah-Regime und Studierende rissen aktiv die Geschlechtertrennung an ihren Hochschulen nieder. Das Regime reagierte mit mörderischer Gewalt. 

 Mit Protesten bei Prüfungen, Rücktritten und unangemeldeten Demonstrationen reagierten Studierende und Wissenschaftler*innen an den Hochschulen in Afghanistan auf das von der Taliban erlassene Bildungsverbot für Frauen.

In Nigeria streikten acht Monate lang Uni-Dozent*innenen, bis die Regierung eine Zusatzfinanzierung versprach. In Großbritannien streikten im November 70 000 Uni-Angestellte drei Tage lang für höhere Löhne und sichere Verträge. Und in Kalifornien endeten Streiks nach einem Monat mit einer guten Nachricht: Studentische Mitarbeiter*innen sollen über die nächsten Jahre mehr als 55 Prozent Lohnerhöhung bekommen (schreibt ND).

Ein Teil der Student*innen, die wegen ihres Einsatzes für Demokratie durch das belarusische Regime inhaftiert wurden, wurden dieses Jahr freigelassen.   

Auch in Deutschland kam es zu Repressionen. Wir solidarisierten uns mit den in Präventivhaft befindlichen Klimaaktivist*innen und den Hörsaal-Besetzer*innen in Frankfurt. Die Universitätsleitung der Goethe-Uni hatte einen Hörsaal durch Polizei räumen lassen, nachdem Studierende versucht hatten, diesen im Rahmen der Kampagne „End Fossil: Occupy!“ zu nutzen. An weiteren Hochschulen blieben die Universitätsleitungen dagegen zumindest grundsätzlich gesprächsbereit.

Auch aus anderen Gründen wurde besetzt, z.B. in Jena wegen der drohenden Abschaffung des Lehrstuhls für Geschlechtergeschichte.

Hinweis: Dieser Jahresrückblick wurde von Aktivis der GHG geschrieben. Er wurde jedoch bei keinem Treffen abgestimmt. Die Meinungen hier spiegeln daher nicht unbedingt die gesamte GHG wider.

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